Die Revolte des Ostens

Pankaj Mishra erklärt die Geburt des heutigen Asiens aus dem Geist des antikolonialen Denkens seit dem späten 19. Jahrhundert

Was haben Mao, Gandhi und Atatürk gemeinsam? Sie reagierten 1905 enthusiastisch auf die Seeschlacht bei Tsushima. Unerwartet war es dort der japanischen Marine gelungen, eine russische Invasionsflotte zu besiegen. In seinem neuen Buch beschreibt Pankaj Mishra dies als Schlüsselereignis für einen ganzen Kontinent.

Junge asiatische Intellektuelle erblickten darin das Fanal einer kommenden Wende. Der Westen konnte geschlagen, der Kolonialismus abgeschüttelt werden. Damit begann die Selbstermächtigung Asiens – das Mishra im Sinne der alten Griechen als eine Region von Ägypten bis Japan fasst.

„Aus den Ruinen des Empires“ zeigt, wie sehr es unter den veränderungshungrigen asiatischen Denkern gärte. Reformpläne wurden geschmiedet, revolutionäre Aktionen geplant und antikoloniale Erhebungen vorbereitet. Aber vor allem wurden damals die geistigen Grundlagen für bis heute prägende Ideologien, Bewegungen und Regierungsformen gelegt.

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Abtritt der Avantgarde?

Neu beim Tectum-Verlag: Abtritt der Avantgarde? Die Demokratisierung des Intellektuellen in der globalisierungskritischen Bewegung.

Aus dem Klappentext: Welche Rolle kann und soll der Intellektuelle heute spielen? Nach 1968 entwickeln kritische Denker ein neues Selbstverständnis. Französische Theoretiker verabschieden sich von Jean-Paul Sartres Konzept des engagierten Intellektuellen. Ihre Gegenentwürfe fallen höchst unterschiedlich aus: Michel Foucault plädiert für den engagierten Experten, Pierre Bourdieu für den eingreifenden Wissenschaftler, und Jean-François Lyotard schreibt dem Intellektuellen einen Nachruf. Gemeinsam ist ihnen eine Abkehr vom Avantgardismus. Das ist Ausdruck eines sozialen Wandels. Mit der Zunahme an Bildungstiteln hat sich der Abstand zwischen den Intellektuellen und der Gesellschaft verringert. Es fällt ihnen immer schwerer, eine herausgehobene Stellung zu beanspruchen.

Wie wenig Anklang ein politischer Avantgardismus der Intellektuellen noch findet, zeigt Steffen Vogel anhand der globalisierungskritischen Bewegung. Zu Wort kommen neben unverdrossenen Avantgardisten wie Ignacio Ramonet, Walden Bello und Samir Amin auch Intellektuelle mit einem demokratischeren Selbstverständnis, darunter Naomi Klein, Michael Hardt und Chico Whitaker. Der Autor präsentiert materialreich eine entscheidende Veränderung in Rolle und Selbstbild des kritischen Intellektuellen.

ISBN 978-3-8288-2828-5
126 Seiten, Paperback
Tectum Verlag 2012
24,90 €

Über Intellektuelle

Gibt es die engagierten Geistesarbeiter noch? Und wenn ja, was zeichnet die Intellektuellen heute aus? Diesen und anderen Fragen ist Dietz Bering bereits 2010 in einem materialreichen und gut lesbaren Buch nachgegangen. In einem weiteren Band versammelt er jetzt zahlreiche relevante Wortmeldungen aus den Debatten um die Rolle der Intellektuellen. Den Anfang macht Emile Zolas „J’accuse!“ von 1898, ihm u.a. folgen Texte von Karl Mannheim, Max Frisch und Michel Foucault, aber auch von Kritikern und erklärten Feinden der Intellektuellen.

Unter den Beiträgen jüngeren Datums findet sich neben Texten von Jürgen Habermas und Barbara Vinken auch mein Essay „Vom Propheten zum Mitstreiter“.

Umringt von Mentoren

Wie Intellektuelle die Occupy-Bewegung sehen

Eine gewisse Schadenfreude kann Paul Krugman nicht verbergen. Erst habe die Wall Street das Protestcamp der Occupy-Aktivisten im Zuccotti Park verächtlich abgetan, schreibt er in seiner New York Times-Kolumne. Nun, wo die Bewegung auf immer größere Resonanz stößt, setzt das „Gejammer“ ein. Doch die Börsianer hätten keinen Grund sich missverstanden zu fühlen, meint der Wirtschaftsnobelpreisträger von 2008. Schließlich habe die Wall Street in hohem Maß zur ökonomischen Polarisierung und wachsenden Ungleichheit in den USA beigetragen. Trotzdem wähnte sich die Finanzindustrie unangreifbar und reagiert nun umso geschockter auf die öffentliche Empörung, so der keynesianische Ökonom: „Bis vor ein paar Wochen schien es, als habe die Wall Street unser politisches System derart wirksam bestochen und eingeschüchtert, dass es vergaß, wie dort üppige Gehaltsschecks ausgestellt und gleichzeitig die Weltwirtschaft zerstört wurde.“

Ähnlich wie Krugman haben viele Intellektuelle erfreut bis enthusiastisch auf die neue globale Protestbewegung reagiert. Es scheint, als ob die engagierten Künstler und Theoretiker nur auf diesen Moment gewartet hätten, um nun mit Statements, Unterstützungserklärungen und Essays hervorzutreten. Binnen kurzer Zeit haben auf OccupyWriters.com gut 1.200 Autoren ihre Solidarität bekundet, darunter Salman Rushdie, Margaret Atwood und Jonathan Lethem. Ebenso zu den Unterzeichnern gehören Adam Haslett, der mit Union Atlantic einen der ersten Romane zur Krise geschrieben hat, der Fantasy-Kult-Autor Neil Gaiman und die Comiczeichnerin Alison Bechdel.

Alice Walker hat für die Website ein Gedicht beigesteuert, mit dem sie auf die Festnahme des Theologen Cornel West bei einer Occupy-Aktion in Washington reagiert. Der Princeton-Professor hatte schon im August in einem wütenden Kommentar für die New York Times beklagt, in den USA herrsche seit 30 Jahren ein „einseitiger Krieg gegen Arme und arbeitende Menschen im Namen einer moralisch bankrotten Politik von Marktderegulierung, Steuersenkungen und Haushaltskürzungen zu Lasten jener, die bereits sozial vernachlässigt und wirtschaftlich aufgegeben worden sind.“ West fügte hinzu: „Unsere zwei größten Parteien … haben lediglich alternative Versionen oligarchischer Herrschaft zu bieten.“

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Im Namen der Anderen

Jacques Rancière kritisiert den Paternalismus linker Theoretiker

Die Armen stehen im Zentrum vieler Texte der politischen Philosophie. Manche Theoretiker sehen in ihnen eine gefährliche Masse, die auch in ihrem eigenen Interesse unterworfen werden muss. Andere adeln die Unterklassen zum Träger emanzipatorischer Hoffnungen. Aber wie halten es gerade diese Autoren wirklich mit denen, die sie beschwören?

Die linken Theoretiker pflegen ein mehr als widersprüchliches Verhältnis zum potenziellen Subjekt der Veränderung, sagt der französische Philosoph Jacques Rancière. Sie wissen, dass die Armen die Geschichte machen werden – und entmündigen sie doch. Ihre Werke durchzieht der Versuch, für sich selbst eine Stellung über den Massen zu begründen: „Die Ordnung des Diskurses definierte sich, indem der Kreis gezogen wurde, der diejenigen vom Recht zu denken ausschloss, die von der Arbeit ihrer Hände lebten.“ Dieses Manöver will Rancière in seinem jüngst erstmals in deutscher Übersetzung erschienenen Buch Der Philosoph und seine Armen nicht zuletzt im Denken von Marx, Sartre und Bourdieu nachweisen.

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Propheten oder Mitstreiter

Die Intellektuellen sind nicht verschwunden. Sie haben ihre gesellschaftliche Rolle demokratisiert

Er gilt als der wichtigste Streik seit dem Mai 68. Vier Wochen lang tritt ab November 1995 in Frankreich der öffentliche Dienst in den allgemeinen Ausstand. Ein intensiver gesellschaftlicher Konflikt folgt, mit dem zuvor kaum jemand gerechnet hat. Am Ende wirft die Regierung das Handtuch: Premier Alain Juppé zieht seine Rentenreform zurück und scheitert später bei vorgezogenen Neuwahlen. Dieser Generalstreik vor 15 Jahren begründet zugleich den Ruf eines kritischen Intellektuellen. Pierre Bourdieu besucht eine Betriebsversammlung von Eisenbahnern an der Pariser Gare de Lyon, greift zum Megafon und spricht eine Solidaritätsadresse. Zwar hat sich der renommierte Soziologe schon zuvor politisch engagiert, aber mit seiner mittlerweile legendären Rede tritt er endgültig in die erste Reihe der europäischen Intellektuellen.

Heute, acht Jahre nach Bourdieus Tod, fürchten manche, mit dem Franzosen sei der letzte seiner Art abgetreten. Die Intellektuellen scheinen ihren Platz im öffentlichen Leben verloren zu haben. Vermisst werden die Wissenschaftler, die im Namen universeller Werte das Recht der Schwächeren verteidigen. Gesucht werden die Künstler, die eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft spüren. Und wo es sie noch gibt, so die Klage, bleiben die Intellektuellen zur Wirkungslosigkeit verdammt. In einer schnelllebigen Medienwelt würden ihre Interventionen im allgemeinen Rauschen verhallen, meint etwa Jürgen Habermas. Internet und Fernsehen böten zu wenig Raum für sorgfältig gewogene Worte und grundsätzliche Reflektionen. Auch Dietz Bering bilanziert in seinem soeben veröffentlichten, materialreichen Werk über Die Epoche der Intellektuellen (Berlin University Press) den Niedergang dieser Sozialfigur. Ein „Neuanfang“ für den Intellektuellen bleibt für Bering wünschenswert, aber offen.

Bedarf es wirklich eines Neubeginns? Begegnen uns die Intellektuellen nicht regelmäßig in allen Medien? Die Stellungnahmen eines keynesianischen Ökonomen wie Joseph Stiglitz erreichen ein globales Publikum. Engagierter als Arundhati Roy kann eine Schriftstellerin kaum sein. Und die kulturkämpferischen Behauptungen Samuel Huntingtons scheinen den Tod ihres Schöpfers auf lange überdauern zu wollen.

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Radikale Avantgarde


Es gibt neues von Nanni Balestrini. Der italienische Schriftsteller gilt im deutschsprachigen Raum noch weitgehend als Geheimtipp. Sein jetzt bei Suhrkamp erschienener Roman „Tristano“ dürfte daran leider wenig ändern. Tristano ist gesampelte Literatur. Balestrini hat schon in den sechziger Jahren lineare Erzählstrukturen aufbrechen wollen. Aber erst die heutige Computertechnik gestattet ihm, seinen ursprünglichen Text in Abschnitte zu zerlegen und nach dem Zufallsprinzip neu zusammenzufügen. Bei diesem Remixen des literarischen Stoffs ergeben sich mehrere Millionen möglicher Kombinationen. Daher ist jede Ausgabe von Tristano ein Unikat und wird fortlaufend nummeriert. Die ersten 5.999 Variationen sind auf Italienisch erschienen, weitere 1.999 folgen auf Deutsch, bevor die Reihe auf Englisch und Französisch fortgesetzt werden soll.

Bekannt ist Nanni Balestrini hierzulande vor allem als politischer Schriftsteller. Der ehemalige Feltrinelli-Lektor stand in den späten siebziger Jahren der Autonomia Operaia nahe, wurde zeitweilig polizeilich gesucht und fand wie viele seiner Genossen in Frankreich Asyl. Seine Roman-Trilogie „Die große Revolte“ erzählt von den Kämpfen der damaligen Zeit: bei Fiat, im Intellektuellen-Milieu, im Hochsicherheitsgefängnis. Balestrini fängt das Zeitgefühl – die Aufbruchsstimmung, die Wut, die Zweifel – faszinierend lebendig und dicht ein.

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Der melancholische Intellektuelle


Manuel Vázquez Montalbán zum 70.

Er ist Spaniens meistgelesener Gegenwartsautor. Seine Krimis um den Privatdetektiv Pepe Carvalho haben ihn berühmt gemacht. Zugleich ist Manuel Vázquez Montalbán als kritischer Intellektueller in Erscheinung getreten. Dieses Jahr wäre er 70 geworden.

„Um ein Land zu verstehen, muss man sein Brot essen und seinen Wein trinken“; dieses Marx-Zitat legt Manuel Vázquez Montalbán seinem Serienhelden Pepe Carvalho mehr als einmal in den Mund. Montalbán selbst hat ausgiebig von dem Wein und Brot seines Geburtslandes Spanien gekostet. Er zehrte von den kargen Mahlzeiten kurz nach dem Bürgerkrieg, aß die Kost des politischen Gefangenen im Franquismus und schwelgte in den Angeboten der Gourmetrestaurants im demokratisierten aber allzu vergesslichen Spanien seit 1975.

Manuel Vázquez Montalbán ist Spaniens meistgelesener Gegenwartsautor, zugleich ein scharfzüngiger politischer Essayist und literarischer Chronist der „transición“, des Übergangs vom Franquismus zur parlamentarischen Demokratie. Als Romancier wie als eingreifender Intellektueller passt er in keine nach Industrienorm gefertigte kulturelle Schublade.

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Ein politischer Tsunami

Naomi Klein im Interview über einen Kapitalismus der Katastrophen braucht und New Orleans als Experimentierfeld der Privatisierung

Verstehe ich Sie richtig, dass ohne Katastrophen der Neoliberalismus heute nicht hegemonial wäre?

NAOMI KLEIN: Ohne Krisen wäre der Neoliberalismus nicht annähernd so mächtig wie er heute ist. Das ergeben auch die Forschungen zahlreicher Neoliberaler wie Dani Rodrik. Sie untersuchten, unter welchen Bedingungen Reformen nach Muster des Washington Consensus akzeptiert wurden und fanden heraus: In den neunziger Jahren billigten nur Länder, die eine Krise durchmachten diese Maßnahmen. An den Internationalen Währungsfonds etwa wenden sich Staaten, die eine ökonomische Krise durchleben, und dann verschreibt man ihnen diese Politik. Leszek Balcerowicz – er war Anfang der neunziger Jahre Polens Finanzminister, als dort die Schock-Therapie eingeführt wurde – sprach paradigmatisch von „Momenten außergewöhnlicher Politik“.

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Disaster Capitalism


Interview with Naomi Klein

Do I understand you right, that without disasters neoliberalism wouldn’t be today’s hegemonic doctrine?

NAOMI KLEIN: Without crisis neoliberalism would not be nearly as powerful as it is today, yes. I based that on the researches of many neoliberals themselves, like Dani Rodrik who studied the conditions under which economies accepted Washington Consensus state of reforms and found that in the 90ies only countries that were in some sort of crisis accepted the reforms. The IMF for example is an institution that countries go to when they are in an economic crisis and then they get prescribed these policies. Leszek Balcerowicz, who was the finance minister of Poland when shock therapy was introduced, gave this paradigm of what he called „Moments of extraordinary politics“.

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