Um das vereinte Europa ist es schlecht bestellt. Fünf Jahre zermürbende Dauerkrise haben den Nationalismus erstarken lassen. Der Kontinent spaltet sich zunehmend in einen reichen Norden und einen verarmenden Süden. In dieser Situation gleicht die jüngste Debatte um das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, den sogenannten Grexit, einem Spiel mit dem Feuer.
Dabei böte dieses Jahr auch eine Gelegenheit, an den einstigen Glanz der europäischen Idee zu erinnern: Im August vor 40 Jahren starb in Madrid der greise Francisco Franco und Spanien beschritt den mühsamen Weg zur parlamentarischen Demokratie. Schon 1974 waren die Militärdiktaturen in Lissabon und Athen gefallen. In den Jahren zuvor gab es für viele Spanier, Griechen und Portugiesen einen Sehnsuchtsort, der für das gute Leben stand. Dieser Ort war Europa. Jenseits bloß geografischer Zugehörigkeit bildete „Europa“ den ideellen Gegenpol zur geistigen Enge und materiellen Not in Zeiten autoritärer Herrschaft. Mit der Vereinigung des Kontinents verband sich die Hoffnung auf Frieden, Freiheit und geteilten Wohlstand – gerade in jenen Ländern, die nicht zum Club der Gründer gehörten. Nirgendwo erfreute sich die EU lange Zeit so großer Zustimmung wie in Spanien und Griechenland.
Ein Echo dieser Ausstrahlung war zuletzt in den Anfängen der ukrainischen Maidanbewegung zu vernehmen. Dieser Widerhall kann jedoch nicht verbergen, dass Europa als Idee vor dem Scheitern steht. Das illustriert ein weiteres Jubiläum, das Griechenland hätte begehen können. Vor fünf Jahren erhielt das Land einen ersten Notkredit seiner europäischen Geldgeber. Nicht nur in Athen versäumte man es wohlweislich, an jenen Tag im Mai 2010 zu erinnern. Denn während der Ukrainekonflikt exemplarisch für die geopolitische Konzeptlosigkeit der EU steht, hat die ökonomische Krise schonungslos die Konstruktionsfehler des Euro offenbart.
Das vereinte Europa hat sich überdehnt. Seine Institutionen sind ihren Aufgaben kaum mehr gewachsen. Seine Eliten flüchten in ökonomischen Egoismus, beschränken sich weitgehend auf Notfallmaßnahmen und vertagen alle größeren Reformen.
In dieser Situation könnte den Verhandlungen um ein neues Kreditpaket für Griechenland entscheidende Bedeutung zukommen. Ende Juni läuft die bisherige Vereinbarung zwischen Athen und den Geldgebern aus, und um die Konditionen für ein neues Abkommen wird hart gerungen. Sollte sich der Dissens als unüberwindlich erweisen, droht schlimmstenfalls der Grexit.
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